Ansprache von Ex-Welt-Chef Kofi Annan: Gebt Drogen frei! Stopp dem Krieg gegen Drogen!

Kofi Annan hielt diese Ansprache am 19. Mai 2015 auf der 68. Weltgesundheitsversammlung. Das Original ist von der Website der
UNO-Drogenübereinkunft. Der volle Titel lautet

Die UNO Generalversammlung 2016 naht: Stärkung der Gesundheitsposition bei der Behandlung der Weltdrogenfrage

19. Mai 2015, 18.00, Palais des Nations, Salle VII

Madame Dreifuss,
Eure Exzellenz,
Ladies and gentlemen,

zuerst einmal möchte ich den elf Regierungen danken, die unser Treffen organisiert und mich eingeladen haben heute zu Ihnen zu sprechen.

In der Einleitung Einheitsabkommen von 1961 steht: „Gesundheit und Wohlergehen der Menschheit“, und ich wiederhole, dass „Gesundheit und Wohlergehen der Menschheit“ das oberste Ziel dieses Beschlusses ist.

Leider trägt die Politik in vielen Ländern nichts zum Erreichen dieses Ziels bei.

Ganz im Gegenteil. Diese Gesetze führen zu einem Ergebnis, von dem das UN-Büro für Drogen und Verbrechen sagt, es habe „ungewollte Konsequenzen“.

Zu diesen ungewollten Folgen gehört ein riesiger internationaler Schwarzmarkt, der Korruption und Gewalt nährt.

Verirrte Versuche der Drogenvermeidung durch Kriminalisierung haben in einigen Ländern versagt und stattdessen zu Menschenmassen in Gefängnissen geführt.

In einigen Ländern hat der sogenannte „Krieg gegen Drogen“ zu gefährlicher Unsicherheit geführt.

Ich habe es schon gesagt und ich wiederhole es noch einmal: Ich bin sicher, dass Drogen viele Leben ruiniert haben, aber auch, dass falsche Gesetze viele mehr ruiniert haben.

Eine Vorstrafe für einen jungen Menschen wegen eines Drogenvergehens ist eine größere Bedrohung für den jungen Menschen als gelegentlicher Drogenkonsum.

In vielen Teilen der Erde sind Drogenkonsumenten geächtet und von Behandlung und Hilfe ausgeschlossen, und sie leben mit der ständigen Gefahr der Verhaftung.

Sogar die Gesetze, die relativ erfolgreich ganze Drogenkartelle bekämpfen, verschieben die Probleme bloß statt sie zu lösen: eine Linderung im einen Land führt zu einer Verschlimmerung im anderen.

Strahlende Zukunft für Drogenkonsumenten, darunter Kranke, darunter Sterbenskranke (Illu: luxperpetua)

Strahlende Zukunft für Drogenkonsumenten, darunter Kranke, darunter Sterbenskranke (Illu: luxperpetua)

Wir wissen auch, dass die Exekutive die Versorgung mit einer illegalen Substanz unterdrücken kann, aber viele Konsumenten wechseln dann zu einer anderen, oft gefährlicheren, Substanz.

Daher bin ich überzeugt, dass die augenblicklichen Drogengesetze reformiert werden müssen, um Vorbeugung und Behandlung zu gewährleisten — auf der Grundlage von Maßnahmen die funktionieren.

Besondere Sorge macht mir die Situation in Afrika.

In den letzten Jahren hat sich der Kontinent zu einem Umschlagplatz für den Drogenhandel entwickelt. Der afrikanische Drogenverbrauch ist ebenfalls im Steigen.

Jedoch gibt es in den meisten afrikanischen Ländern nur wenige oder keine Einrichtungen für Vorbeugung oder Behandlung.

Gleichzeitig schränken die jetzigen Gesetze den Zugang zu Schmerzmittel sehr stark ein.

Wir wissen, dass 90 Prozent des Morphiums in Nordamerika und Europa verschrieben wird. In vielen Entwicklungsländern müssen Patienten mit Krebs im Endstadium unnötig leiden, weil die Ärzte nicht gegen die falsch verstandenen und falsch ausgeführten Beschlüsse der UNO verstoßen dürfen.

Das Programm für „Zugang zu verschreibungspflichtigen Medikamenten“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber wir müssen sicherstellen, dass die wichtigen Arzneien auf den Vorschlagslisten der Weltgesundheitsorganisation kein Opfer des Kriegs gegen Drogen werden.

Der jüngste Versuch zur Eindämmung von Ketamin wäre ein Schritt in die falsche Richtung gewesen. Im Krieg gegen Drogen wollte man die Verbreitung von Ketamin eindämmen, ein Mittel, dass gerade in den ärmsten Gegenden der Welt verwendet wird, nach der Empfehlung der WHO „zur Gewährleistung von sicherer und günstiger chirurgischen Behandlung“.

Ich hoffe, dass sich bei Drogengesetzen die Vernunft durchsetzen wird.

Traurig ist, dass Drogengesetze noch nie ein Bereich waren, in dem Belege für Wirkung den Weg zeigen.

Natürlich wollen wir alle unsere Familien vor den Gefahren von Drogen bewahren.

Wenn jedoch jemand ein Drogenproblem entwickeln – eine chronische, wiederkehrende Krankheit, wie die Weltgesundheitsorganisation das festgelegt hat – dann sollte er oder sie als Patienten mit Bedarf nach Behandlung angesehen werden, nicht als Kriminelle.

In welchen Bereichen der öffentlichen Gesundheit kriminalisieren wir die Patienten, die Hilfe brauchen?

Es kann keinesfalls die Aufgabe einer Strafjustiz sein, Abhilfe bei Fragen der Volksgesundheit zu schaffen.

Das ist ein Job für Ärzte und andere Gesundheitsexperten.

Der UNODC-Direktor Yury Fedotov hat einmal gesagt: „Die Übereinkommen sind nicht für den Krieg gegen Drogen gedacht, sondern haben die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschheit zum Gegenstand.“

Wir sollten uns nach dieser Vorgabe richten.

Kofi öffnet die Augen und die Herzen für eine gerechte Drogenpolitik

Kofi öffnet die Augen und die Herzen für eine gerechte Drogenpolitik

Die jetzigen Drogengesetze erreichen dieses Ziel jedenfalls nicht. So stellen wir uns die Frage: „Welche Gesetze brauchen Regierungen und Gesundheitsbehörden um die schädlichen sozialen und gesundheitlichen Folgen zu reduzieren, die
Drogenkonsum hervorrufen kann?“

Gestatten Sie mir, dass ich drei Vorschläge mache.

Erstens: Drogenkonsum entkriminalisieren. Strafmaßnahmen funktionieren nicht und befördern viele Menschen ins Gefängnis, wo der Drogenkonsum sogar schlimmer werden kann.

Zweitens: Einrichtungen zur Behandlung stärken, besonders in den Schwellen- und Entwicklungsländern.

Die Westafrikanische Drogenkommission, die ich einberufen habe, fand in ihrer Region keine einzige Stelle für die Behandlung von Drogenproblemen, welche die Mindestanforderungen internationaler Standards erfüllt hätte.

Erfreulicherweise werden jetzt in Senegal und einigen anderen Ländern jetzt neue Einrichtungen eröffnet. Spender sollen helfen, diese Einrichtungen in andere Regionen zu erweitern.

Drittens: wir müssen lernen mit Drogen zu leben, so dass sie den wenigsten Schaden anrichten. Dass wir eine drogenfreie Welt wollen, ist kein
realistischer Ehrgeiz.

Tabak ist ein Beispiel dafür, wie ein gefährliches und süchtigmachendes Produkt geregelt wird, weil wir wissen, dass es sich die Leute nicht verbieten lassen.

So haben wir heute weniger nikotinsüchtige Menschen, und deren Zahl sinkt in vielen Ländern noch weiter.

Für diese Entwicklung musste keiner verhaftet oder eingesperrt oder vom Staatsanwalt zwangsbehandelt werden. Diese Wirkung entfaltete sich dank hoher Steuern, Schranken beim Verkauf und Gebrauch und starke Antirauchkampagnen.

Regelwerke und Aufklärung haben uns dieses Resultat beschert.

Wir müssen Drogen reglementieren, weil sie Risiken haben. Drogen sind noch unendlich gefährlicher, wenn sie von Kriminellen verkauft werden, die sich um Sicherheit und Gesundheit nicht kümmern.

Verordnungen schützen Gesundheit. Konsumenten müssen wissen was sie nehmen und müssen klare Information über mögliche Risiken erhalten, und müssen wissen wie man Probleme auf das Minimum beschränkt.

Regierungen müssen in der Lage sein, die Händler und Läden nach den Gefahren zu
reglementieren, die Drogenkonsum mit sich bringt.

Die riskantesten Drogen sollten niemals rezeptfrei erhältlich sein, sondern nur
für registrierte Abhängige, wie das hier in der Schweiz bereits geschieht.

Meine Damen und Herren, liebe Freunde,

Schon seit einiger Zeit ermuntert die Weltkommission für Drogenpolitik, der auch ich angehöre, zu einem offenen, zuversichtlichen Erörterung dieser Belange am Weg zur UNGASS 2016. (Grüße an Ruth Dreifuss, Diskussionsleiterin bei der Weltkommission für Drogenpolitik, so wie den gemeinsamen Kollegen Michel Katzachkine.)

Ich freue mich, dass so viele von Ihnen mich anhören, um an der Diskussion teilzunehmen.

Wir glauben, dass die Weltgesundheitsorganisation, eine unserer vier Teilnehmer am Übereinkommen, eine bedeutende Rolle in der Debatte spielen soll.

Drogenpolitik sollte auf der Grundlage der Wissenschaft gemacht werden, und mit aufrichtiger Sorge um Gesundheit und Menschenrechte.

Aus diesem Grund halten wir den richtigen Zeitpunkt für gekommen für den Vernunft-Ansatz in der Drogenpolitik.

Ich bin voller Hoffnung, dass sich die UNGASS 2016 auf die tatsächlichen Themen konzentrieren wird, und uns alle in die Richtung führt, die wir alle für die richtige halten.

Ich danke Ihnen.

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