Am 16. Juni 2015 wird das EU-Parlament darüber abstimmen, wie sich die EU-Urheberrechtsreform entwickeln wird. Auf dem Tisch liegen all die vernünftigen Vorschläge: File-Sharing legalisieren, Peer-to-Peer fördern und Technologien ermöglichen, die transparent und nachvollziehbar sind. Aber all die unvernünftigen Vorschläge sind ebenfalls da: strengere Gesetze, die Menschen bestrafen! Wenn die Leute nicht bestraft werden — dann werden ihre Service-Provider bestraft, bis die Menschen von ihren Service-Providern durch untragbare technische Normen und digitale Schlösser in Käfige eingesperrt werden.
Die Pro-Urheberrecht-Lobbys gehören zu den am besten organisierten der ganzen Welt, gleich hinter den Lobbys der Tabakkonzerne. Sie versammeln ihre Mitarbeiter und Auftragnehmer und erzählen ihnen, dass echte Menschen und echte Internet-Nutzer ihnen Schaden zufügen wollen.
Als ich noch im EU-Parlament war wurde ich einmal von einer jungen Mutter mit zwei Kindern besucht, die sich gefragt hat warum ich versuche, ihre Kinder ohne Nahrung und ohne Bildung auf die Straße zu setzen. Sie war eine Drehbuchautorin für den sich aus Steuergeldern finanzierenden deutsch-französischen Fernsehsender ARTE.
Auch wenn ich verstehe, dass sie ihr Gehalt nicht aus Urheberrechtslizenzen bezieht, auch nicht indirekt, und sogar obwohl sie den Anschein machte, dies nicht bedacht zu haben, war es unangenehm wenn einem vorgeworfen wird, jemandes anderen Kindern zu schaden.
Wenn ich nicht 10 Jahre jünger als sie gewesen und davon überzeugt gewesen wäre, dass es für sie Wege gibt Geld zu verdienen ohne dabei das Internet zu zerstören oder File-Sharern ihre Häuser wegzunehmen, dann hätte ich mich vielleicht dafür entscheiden können, meine politische Meinung wegen ihrer herzlichen Anklage zu ändern.
Viele Menschen wie sie besuchen derzeit ihre Gesetzgeber. Vielen Politikern wird derzeit vorgeworfen Kindern zu schaden, wenn sie progressive Vorschläge zum Urheberrecht prüfen.
Was diese Politiker nicht hören, sind die Geschichten jener Menschen, die Abmahnbriefe bekommen, verklagt und vor Gericht gezerrt werden, oder denen ein so großer Schaden zugefügt wird, dass er kaum vernünftig von einer Person in einer Lebensspanne kompensiert werden kann. Sie hören nicht die Geschichten von jenen, die Netzwerke für Millionen von Europäern errichtet haben, wo — aus mangel an besseren Worten — eine kulturelle Affinität aufkeimt.
File-Sharing und die Peer-to-Peer Kultur haben wie keine andere Kultur in der heutigen Zeit eine gemeinsame kulturelle Basis in Europa erschaffen. Obwohl ich hoffe, dass ihr alle auch ohne meine idealistische Formulierung dieser Fragen überzeugt seid, dass sich das Urheberrecht irgendwie ändern muss.
Die Politik bleibt zu oft im Bereich des Möglichen verhaftet. Es ist möglich, dass das Einkommen einer 35-jährigen Mutter durch eine Gesetzesreform belastet wird, die in keiner Weise ihren Arbeitgeber beeinflusst. Es ist nicht nur möglich, sondern real, dass vielen Menschen in der Europäischen Union jedes Jahr enorm hohe, sogar unmögliche Kosten durch File-Sharing-Prozesse und Abmahnbriefe entstehen.
Es ist nicht nur möglich, sondern real, dass Urheberrechte zunehmend die Technologieunternehmen zur Innovation zwingen, zum Nachteil der Freiheit der Nutzer.
Das Europäische Parlament muss vor dem 16. Juni wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden und weg von einem Bereich der möglichen Gefahren.
Wenn du dich derzeit in der Europäischen Union aufhältst oder wenn du Menschen in der Europäischen Union erreichen kannst, auf welche Weise auch immer: Jetzt ist die Zeit gekommen sie zu bitten, ihren Vertreter im Europäischen Parlament zu kontaktieren. Erzählt den Parlamentariern etwas über euch selbst, über euer Leben, eure Kinder und von der Welt, in der ihr Leben möchtet. Gebt ihnen einen Geschmack der Realität, die abseits der spekulativen Möglichkeiten der professionellen Lobbys existiert.
Wann immer wir zu müde oder zu verängstigt sind, unseren Politikern zu sagen, was uns wichtig ist, wer auch immer die Ressourcen hat wird ihnen stattdessen Geschichten vom Reich des Möglichen erzählen.
Schau auf copywrongs.eu vorbei und informier dich über die spezifischen Forderungen, die ihr eurem MEP mitteilen möchtet, aber denk daran — dein größter Vorteil ist, dass du real bist, und die meisten der Lobby-Geschichten sind es nicht.
—
Über den Autor
Amelia Andersdotter hat die schwedische Piratenpartei im Europäischen Parlament im Zeitraum von Dezember 2011 und Juli 2014 vertreten. Sie ist eine Expertin für Themen rund um das Internet, geistiges Eigentum und IT-Politik.