Die verschollene Geschichte der Antifa

von Loren Balhorn, am 8. Mai 2017

72 Jahre nach dem Triumph über den Nationalsozialismus blicken wir zurück ins Nachkriegsdeutschland, als die Sozialisten die Antifa ins Leben gerufen haben

Die Ursprünge des Wortes „Antifa“ — eine Abkürzung für dezentralisierten, militanten Straßenaktivismus, der mit seiner eigenen Ästhetik und Subkultur verbunden ist — könnte den meisten Lesern unklar sein. Sogar in Deutschland wissen nur wenige etwas über die populären Formen des antifaschistischen Widerstands, die den Begriff geprägt haben.

Das kurze aber inspirierende politische Erbe der Bewegung erwies sich als zu unkomfortabel für die beiden deutschen Staaten in der Ära des Kalten Krieges, und wurde in der Schule und der Mainstream-Geschichte ignoriert. Heute ist das Vermächtnis der Linken fast vollständig verloren gegangen.

Aus den Ruinen

Im Jahre 1945 wurde Hitlers Drittes Reich physisch zerstört und politisch verbraucht. Die zugrunde liegende Zivilgesellschaft hörte auf, in vielen Gebieten zu funktionieren, als die Macht der Nazis ins Stocken geriet und die Regime-Anhänger, vor allem in der mittleren und oberen Klasse, erkannten, dass Hitlers „Endsieg“ eine reine Phantasie war.

Bei den Linken wurden viele Kommunisten und Sozialdemokraten entweder ohne Umschweife von den Nazis erschossen oder sie starben im darauf folgenden Krieg. Die unvorstellbare menschliche und materielle Zerstörung durch die Naziführung tötete Millionen und stellte die deutsche Gesellschaft auf den Kopf, dezimierte die Arbeiterbewegung und ermordete den Großteil der jüdischen Bevölkerung des Landes. Millionen, die das Regime unterstützt oder sich ihm gefügt hatten — darunter viele Arbeiter und sogar einige ehemalige Sozialisten — sahen sich nun einem Neuanfang in unbekanntem politischen Terrain gegenübergestellt.

Trotz des Versagens, Hitler im Jahr 1933 zu stoppen und in den darauf folgenden Jahren unschädlich zu machen, überlebte die sozialistische Arbeiterbewegung Deutschlands und ihre entschieden progressiven Traditionen Hitler in den Fabriken der Industriestädte und begann damit, die Fragmente einzusammeln, sobald offene politische Aktivitäten möglich wurden. Der Historiker Gareth Dale beschreibt es folgendermaßen:

„Von allen Sektoren der Bevölkerung waren es die Arbeiter in den großen Städten, die die größte Immunität gegen den Nationalsozialismus an den Tag legten. Viele Gewerkschafter und Sozialisten waren in der Lage, an ihrer Tradition und an ihrem Glauben, zumindest auf die eine oder andere Weise, während der Nazi-Ära festzuhalten. Eine mutige Minderheit, darunter etwa 150.000 Kommunisten, nahm am illegalen Widerstand teil. Die größeren Schichten vermieden die Gefahr, blieben aber den Werten der Arbeiterbewegung treu und hielten ihre Erinnerungen unter Gleichgesinnten, am Arbeitsplatz und in Wohnsiedlungen am Leben.“

Diese Gruppen, die oft von den oben erwähnten Wohnsiedlungen ausgegangen waren, wurden allgemein als „Antifaschistische Ausschüsse“, „Antifaschistische Komitees“, oder die heute berüchtigte „Antifaschistische Aktion“ — kurz „Antifa“ — bezeichnet. Sie bedienten sich der Slogans und Orientierung der gemeinsamen Frontstrategie aus Zeiten vor dem Krieg und übernahmen das Wort „Antifa“ in einem verzweifelten Versuch, eine über Parteigrenzen hinausgehende Allianz zwischen Kommunisten und sozialdemokratischen Arbeitern im Jahr 1932 zu bilden. Das kultige Logo der Allianz, das von den Mitgliedern der „Vereinigung der Revolutionären visuellen Künstler“ Max Keilson und Max Gebhard entworfen wurde, wurde seitdem zu einem der bekanntesten Symbole der Linken.

Nach dem Krieg variierten die Antifas in Größe und Zusammensetzung im ehemaligen Reich, das jetzt in vier Besatzungszonen unterteilt war und sich im Zusammenspiel mit der örtlichen Besatzungsmacht entwickelte. Sie erschienen scheinbar über Nacht in Dutzenden Städten, die meisten bildeten sich unmittelbar nach dem Eintreffen der alliierten Truppen, während einige wie die Gruppe in Wuppertal sich selbst in Straßenkämpfen von den Hitler-Loyalisten „befreiten“, bevor es die Alliierten taten.

Doch diese Kreise waren keine spontanen Fälle der Solidarisierung zwischen traumatisierten Kriegsüberlebenden, sondern das Produkt von Veteranen der Sozialdemokratischen Partei (SPD) und der kommunistischen Partei (KPD), die ihre Vorkriegsnetzwerke reaktivierten. Albrecht Lein berichtet, dass der Kern der Braunschweiger Antifa aus KPD- und SPD-Mitgliedern bestand, die in ihren 40ern oder 50ern waren und sich vor der Front gedrückt hatten, obwohl auch katholische Arbeiterorganisationen und andere Kräfte beteiligt waren.

Die Antifa-Gruppen zählten zwischen einigen Hundert und mehreren Tausend aktiven Mitgliedern in den meisten Städten, während der offene Aufschrei aufgrund des Mangels an Jugendbeteiligung auf 12 Jahre Nazi-Erziehung und -Sozialisierung zurückzuführen ist, die die einst verbreitete proletarisch-sozialistische Haltung unter den meisten jungen Deutschen vernichtete. Obwohl die materiellen Bedürfnisse des Krieges und des Wiederaufbaus Frauen in das wirtschaftliche Leben auf neue Weise einbrachten, wurde die damalige männliche Dominanz der deutschen Gesellschaft auch in der Antifa-Bewegung widergespiegelt, die großteils (aber nicht vollständig) aus Männern bestand.

Die Antifas konzentrierten sich auf eine Kombination aus einer Jagd auf kriminelle Nazis und Nazi-Partisanen im Untergrund (die sogenannten „Werwölfe„) sowie auf praktische Belange, die die allgemeine Bevölkerung betreffen. Die Braunschweiger Antifa hat zum Beispiel ein 12-Punkte-Programm gedruckt, welches unter anderem die Entfernung von Nazis aus allen Verwaltungsbehörden und ihre sofortige Ersetzung durch „kompetente Antifaschisten“ fordert, die Auflösung aller Nazi-Vermögenswerte für Kriegsopfer, Notfallgesetze zur Strafverfolgung lokaler Faschisten sowie die Wiederherstellung des öffentlichen Gesundheitswesens. Typisch für jede Organisation, die von Sozialisten geführt wurde, war die Erkenntnis, dass man ein Printmedium als organisatorisches Medium benötigte. So lautete der 12. und letzte Punkt des Programms freiheraus: „Tageszeitung“.

Obwohl die überlieferten Aufzeichnungen darauf hindeuten, dass die meisten Antifas von der KPD dominiert wurden, war die politische Stimmung in den ersten Monaten weit vom Abenteurertum der „Dritten Periode“ der späten Weimarer Zeit entfernt. Überall waren die Antifas vom Wunsch motiviert, aus den Fehlern des Jahres 1933 zu lernen und eine nicht-sektiererische Arbeiterbewegung aufzubauen, die die Gräben überwindet. Dies wurde gegen Kriegsende überall verbreitet, dass die Schrecken des Nationalsozialismus auf die Instabilität und Ungleichheit des Kapitalismus zurückzuführen waren und dass für die Nachkriegsordnung ein neues, egalitäres Wirtschaftssystem erforderlich war.

Die Forderungen nach Verstaatlichung der Industrie und andere linke Politik waren weit verbreitet. Sogar die Zwangsheirat zwischen der KPD und der SPD in die Sozialistische Einheitspartei (SED) in der Sowjetzone bezogen sich auf diese Stimmung und rekrutierte viele ehemalige Oppositionelle im ersten Jahr. Im britisch besetzten Hamburg kam im Juli 1945 ein gemeinsamer KPD-SPD-Aktionsausschuss mit breiter Unterstützung der jeweiligen Mitglieder zusammen um zu erklären:

„Der Wille, sich in einer mächtigen politischen Partei zu vereinigen, lebt in den Herzen der Millionen Unterstützer der einst kriegerischen deutschen Arbeiterparteien als bedeutungsvollstes Ergebnis ihres gemeinsames Leidens. Dieser Wunsch sitzt tief in allen überlebenden Gefangenen der Konzentrationslager, der Gefängnisse und der Gestapo-Institutionen.“

Der Rest des Dokuments bestand aus praktischen Forderungen, um die zersplitterte Arbeiterbewegung Hamburgs zu vereinen.

Die Antifas hatten auch einigen Erfolg, der von der Zusammenstellung der örtlichen Bewegung und der Höhe des Spielraums, der ihnen von den Besatzungsmächten zugestanden wurde, abhing. Obwohl sie sich außerhalb der alliierten Verwaltung gegründet hatten und populäre Entnazifizierungspolitik gegenüber den Besatzungsmächten forcierten, die sich mit den alten Behörden aussöhnen wollten, waren sie nicht in der Lage, die alliierte Hegemonie anzugreifen und stellten bestenfalls militante Minderheiten dar.

Die südwestliche Industriestadt Stuttgart zum Beispiel hatte genug Glück, um zwischen die territorialen Manöver der Vereinigten Staaten und den Franzosen zu gelangen, die die Stadt präventiv besetzt hatten. Um zivile Unruhen zu vermeiden und so den Amerikanern einen Vorwand zu geben, die Stadt wieder einzunehmen, gewährten die französischen Behörden den Stuttgarter Antifaschisten einen erheblichen Spielraum bei der Demontage der Deutschen Arbeiterfront (DAF) aus der Nazizeit, beim Wiederaufbau von Werkstattorganisationen in den Fabriken und bei der Organisation der Bevölkerung in parteiübergreifenden Antifaschistischen Allianzen.

Stuttgart ist auch bemerkenswert für die Präsenz der Kommunistischen Partei (Opposition), oder der KPO. Diese Gruppe um die ehemaligen KPD-Anführer August Thalheimer und Heinrich Brandler rekrutierte eine große Anzahl an KPD-Werksaktivisten und -funktionären der Stadt nach der ultra-linken Ausrichtung der Partei im Jahr 1929. Die Befürworter der KPO für eine Anti-Nazi-Front aller Arbeiterorganisationen im Vorfeld bis 1933 erlaubten es, eine kleine aber beträchtliche Basis bestehend aus erfahrenen Kaderkommunisten zu konsolidieren, die durch die Stalinisierung ihrer Partei abgestoßen wurden.

Obwohl sie niemals eine Massenorganisation und nach dem Krieg nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst war, hatte die KPO einen entscheidenden Einfluss auf die Stuttgarter Metallverarbeitergewerkschaft und konnte so in den Fabriken eine entscheidende Rolle spielen. Diese Aktivisten und andere versorgten die Stadt mit einem Kern an fähigen Aufrührern die durch Erfahrung die Notwendig verstanden, die Arbeiter auf einer parteiübergreifenden Basis um grundlegende soziale Forderungen zu vereinen.

Wie überall in Deutschland wurde die Stuttgarter Antifa-Bewegung bald neutralisiert und zurück in die alten Unterteilungen zwischen KPD und SPD umgeleitet, aber die rebellische Tradition der Stadt und die Vorliebe für die Einheit in Aktion würden im Jahr 1948 wieder auftauchen, als die weit verbreitete Wut aufgrund von drastischen Preiserhöhungen einen Generalstreik in der gesamten Stadt auslöste, dem sich 79 Prozent der Arbeiterschaft anschloss und der sich auf mehrere Orte ausbreitete.

Überbestimmt

Die Antifa-Bewegung stand im Jahr 1945 einer fast unmöglichen Situation gegenüber. Das Land lag in jeder Hinsicht in Schutt und Asche und ging durch eine Phase der Zerstörung, der Brutalität und des mutwilligen Mordens, die in diesem Maße beispiellos war.

Das Dilemma der Antifa war im Großen und Ganzen ihre „Überbestimmtheit“, in dem Sinne, dass historische Kräfte jenseits ihrer Kontrolle letztlich ihr Schicksal beschließen würden. Von diesen Sozialisten und Antifaschisten konnte man trotz ihrer großen Anzahl an Mitgliedern nicht erwarten, dass sie eine plausible politische Alternative zu der überwältigenden Macht des Kalten Krieges erzeugen können.

Deutschland wurde 1945 zum Schauplatz für die längste geopolitische Konfrontation in der modernen Geschichte, und es gab keine Möglichkeit,  die Fragmente einer zersplitterten sozialistischen Bewegung diese Entwicklungen sinnvoll beeinflussen lassen zu können. Dennoch zeigen Aussagen und Dokumente aus jener Zeit Tausende von entschlossenen Antifaschisten und Sozialisten, die sich der beispiellosen Natur ihres historischen Moments bewusst sind und eine politische Perspektive für jene aufstellen, die von der Arbeiterklasse des Landes übrig geblieben sind.

Obwohl ihre Zahl verglichen mit der früheren Herrlichkeit der Bewegung verhältnismäßig und bedauerlich niedrig lag, widerlegt ihre Existenz die Vorstellung, dass die deutsche Linke vor dem Krieg komplett vom Nationalsozialismus zerstört wurde. Hitler brach dem deutschen Sozialismus sicherlich das Genick, doch der Nachkriegswohlstand in Westdeutschland, der mit antikommunistischer Paranoia geschmückt war, würde schließlich das begraben, was von den radikalen Vorkriegs-Traditionen des Landes übrig blieb.

Albert Lein erinnert sich, wie die unglaublich schwierigen Bedingungen der Antifa auch zwangsläufig ihre politische Perspektive eingeschränkt hat. Obwohl sie Tausende Sozialisten anzog und bald durch die Rückkehr von Kommunisten und anderen politischen Gefangenen der Konzentrationslager gestärkt wurde und in Städten wie Braunschweig kurzzeitig die dominante politische Kraft wurde, war sie nicht in der Lage einen politischen Weg aus dem sozialen Elend des Landes anzubieten.

Im Jahr 1946 hatte sogar die CDU Verstaatlichung und Sozialismus im Programm

Lein argumentiert, dass das Versagen der Arbeiterbewegung, Hitler zu besiegen, und die Tatsache, dass Deutschland die Befreiung von außen gefordert hatte, die Antifaschisten zu einer weitgehend reaktiven Politik getrieben und dazu geführt hätte, dass ehemalige Nazi-Beamte energisch verfolgt und die Gesellschaft von Kollaborateuren gesäubert wurde, aber es vernachlässigt hätte, eine plausible Vision für ein „Neues Deutschland“ jenseits von sowohl Faschismus als auch den Machenschaften des Kalten Krieges aufzubauen.

Nachdem die Kommunisten das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) in den Wochen nach dem Krieg aufgelöst hatten, begannen Nazi-Widerstandsgruppen sich selbst die „Bewegung für ein Freies Deutschland“ zu nennen. Lein argumentiert, dass dieser Umstand symbolisch für den gesamten politischen Bewegungsablauf zu dieser Zeit war: „Anders als die bemerkenswerten Ausnahmen von Leipzig, Berlin und München beschrieben sich die Antifaschistischen Bewegungen selbst als Kampforganisationen gegen den Faschismus, und nicht als Komitees für ein Freies Deutschland. Die Aufgabe des Einsammelns von sozialen Kräften für die „Befreiung“ und damit implizit die Erneuerung Deutschlands für die Nazis und Reaktionäre charakterisierte ihre defensive Position.“

Das Versagen der Deutschen, sich selbst in der zweiten Kriegshälfte einer populären Widerstandsbewegung gegen Hitler anzuschließen, demoralisierte verständlicherweise die Linke und störte ihren Glauben an die Fähigkeiten der Massen — eine Eigenschaft, die der Historiker Martin Sabrow auch der Kaste der kommunistischen Funktionäre zuschreibt, die unter sowjetischer Vorherrschaft im Osten tätig sind.

In den französischen, britischen und amerikanischen Zonen begannen die Antifas im Spätsommer 1945 zurückzugehen, marginalisiert durch Verbote der Alliierten für politische Organisationen sowie durch wieder auftretende Spaltungen in der Bewegung selbst. Die sozialdemokratische Führung unter Kurt Schumacher tat sich mit den westlichen Besatzern zusammen und brachte die Partei zu ihrer antikommunistischen Haltung von vor dem Krieg bis zum Ende des Jahres zurück und erklärte, dass die SPD-Mitgliedschaft mit der Teilnahme an der Antifa-Bewegung unvereinbar sei.

In Stuttgart bekämpften sich die Antifa und was von der alten Gewerkschaftsbürokratie übrig blieb gegenseitig von Anfang an. Die alte Führung des ADGB, der Zentrale Handelsgewerkschaftsverband, versuchte in den besetzten Gebieten die Formalisierung der Beschäftigungsverhältnisse wieder herzustellen, was zumindest für die deutsche Arbeiterklasse eine Rückkehr zur Normalität bedeutet hätte. Doch dies lief dem Ansatz der Antifas entgegen, die starke Bindungen mit linken Ladenbesitzern und Fabrikskomitees geknüpft hatten und sich gewöhnlich für Verstaatlichung und Kontrolle der Industrie durch die Arbeiter stark machte. Diese Forderungen waren letztlich nicht realistisch in einer zerschmetterten Wirtschaft, die von mächtigen ausländischen Armeen besetzt war.

Die Aussicht auf Stabilität und ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Erholung unter der SPD erwies sich einfach als attraktiver für die Arbeiter, die gezwungen waren, sich zwischen diesem und dem grundsatztreuen aber schrecklichen Kampf, der von der Antifa geführt wird, zu entscheiden.

Antifas wurden auch durch die Entscheidung der Alliierten, insbesondere die Vereinigten Staaten und Großbritannien, dabei behindert mit dem zusammenzuarbeiten, was vom Nazi-Regime unterhalb der Führungsebene übrig blieb. Antifas, die die örtlichen Nazianführer einsperren oder die städtischen Bürokratien beseitigen wollten, wurden oft von Besatzungsbehörden dabei gestoppt, die es vorzogen, lieber die Funktionäre des alten Staats in neue, angeblich demokratische Institutionen zu integrieren.

Das hatte weniger mit einer besonderen Affinität zwischen den Alliierten und den ex-faschistischen Funktionären zu tun, da es dem praktischen Interesse diente, die deutsche Gesellschaft unter außerordentlich schwierigen Bedingungen am Laufen zu halten, ohne Einfluss an die wiederaufkommende radikale Linke zu verlieren. Da die Antifas zahlenmäßig wie auch waffentechnisch den Besatzungsmächten unterlegen waren und von der SPD ausmanövriert wurden, würde sich ihr Einfluss in den drei westlichen Besatzungszonen in weniger als einem Jahr in Luft auflösen. Die Westdeutsche Gesellschaft stabilisierte den Kontinent, der Kalte Krieg polarisierte ihn und die politischen Kräfte des alten Deutschland im Bündnis mit der Sozialdemokratie und dem aufstrebenden Westblock konsolidierten ihren Einfluss im Land.

Die KPD nahm ihrerseits zunächst Wellen von Neumitgliedern auf, da ihr Prestige im Lichte des sowjetischen Sieges über Hitler sowie aufgrund einer breiten antikapitalistischen Stimmung stark anstieg. Die Partei baute ihre industriellen Grundlagen bald wieder auf und beherrschte im Jahr 1946 ebenso viele Werkstattausschüsse im stark industrialisierten Ruhrgebiet wie die SPD. In seiner klassischen Studie „Die deutsche Arbeiterbewegung“ schätzt der deutsche Gelehrte Arno Klönne die Gesamtmitgliedschaft in den drei westlichen Besatzungszonen auf 300.000 im Jahr 1947 und 600.000 im Osten vor der Gründung der SED im Jahr 1946.

Frühes Poster der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED)

Nach einer kurzen Zeit der Beteiligung an den vorläufigen Regierungen der Nachkriegszeit wurde jedoch die  KPD von den Alliierten kaltgestellt und die Partei kehrte bald zu ihrer ultra-linken Linie zurück. Sie besiegelte ihre politische Irrelevanz im Jahr 1951 mit der Verabschiedung von „These 37“, einem Positionspapier zur Arbeitsstrategie, das von Anti-sozialdemokratischen und Anti-Gewerkschaftsverunglimpfungen nur so strotzt. Der Antrag, der auf der Parteikonferenz verabschiedet wurde, verpflichtete alle KPD-Mitglieder dazu, auch notfalls alle Parteientscheidungen über und gegen Gewerkschaftsrichtlinien zu befolgen. Dieser Schachzug löschte die kommunistische Unterstützung in den Fabriken über Nacht aus und drängte die Partei über Nacht an den Rand der Gesellschaft. Es gelang ihr nicht, im Jahr 1953 wieder ins Parlament einzuziehen und sie wurde von der westdeutschen Regierung im Jahr 1956 verboten.

Die Entwicklungen waren in der sowjetischen Zone deutlich anders, aber endeten letztlich vielleicht in sogar noch schlimmeren Sackgassen: In jener vom SED-Führer Walter Ulbricht gründlich stalinisierter Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Als kommunistischer Kader der alten Schule aus den frühen Tagen der Partei hatte Ulbrich zwanzig Jahre stalinistische Säuberungen und faschistische Repression überlebt, um die „Ulbricht-Gruppe“ zu leiten, ein Team bestehend aus KPD-Funktionären im Exil, die jetzt aus Moskau zurückkehrten um ihr Land unter sowjetischer Besatzung wieder aufzubauen.

Obwohl die Generäle der Roten Armee sicherlich keine besonders demokratische oder egalitäre Vision für Ostdeutschland im Auge hatten, lehnten sie die Zusammenarbeit mit der alten Nazi-Hierarchie aus ihren eigenen Gründen ab und erlaubten es eine Zeit lang den Antifas und verwandten Institutionen, relativ frei zu operieren. Augenzeugen aus dem Jahr 1947 berichten über Fabriken in ostdeutschen Vorkriegs-Industriezentren wie Halle (traditionelle kommunistische Hochburgen), wo KPD-geführte Betriebsräte einen entscheidenden Einfluss auf das Leben in der Fabrik ausübten und dabei zuversichtlich genug waren um Verhandlungen zu führen und in einigen Fällen mit sowjetischen Behörden zu diskutieren.

In einem Interview mit dem Jakobiner, welches später dieses Jahr veröffentlicht wird, erzählt der erfahrene KPO-Aktivist Theodor Bergmann von Heinrich Adam, einem KPO-Mitglied der Vorkriegszeit und Mechaniker in der Zeiss-Optik-Fabrik in Jena, der der SED beitrat in der Hoffnung, die sozialistische Einheit zu realisieren. Heinrich war ein aktiver Antifa und Gewerkschafter, der gegen die Entscheidung der Sowjets Proteste organisierte, sich die Zeiss-Fabrik als Kriegsreparationen einzuverleiben (Er schlug stattdessen vor, in Russland eine neue Fabrik zu errichten.) Adam wurde wegen seiner eigenständigen Ansichten im Jahr 1952 aus der Partei geworfen, obwohl er nie deswegen verfolgt wurde, und lebte seine restlichen Tage in Jena mit einer bescheidenen staatlichen Pension für antifaschistische Veteranen.

In Dresden bildete eine Gruppe bestehend aus etwa 80 Kommunisten, Sozialdemokraten und Mitgliedern der links-sozialdemokratischen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) ein Komitee im Mai 1945, um die Stadt der Roten Armee zu übergeben und zitierte Sendungen des NKFD als Inspiration. In Zusammenarbeit mit den sowjetischen Behörden plünderte diese Gruppe anschließend Nahrungsmittel- und Waffenlager der deutschen Arbeiterfront und anderen Nazi-Institutionen und organisierte ein Verteilungssystem für die Stadtbevölkerung in den ersten Nachkriegswochen.

Berichte von sowjetischen Beamten und der Ulbricht-Gruppe beschreiben rivalisierende antifaschistische Gruppen, die in der Regel von der Besatzung toleriert wurden und die die Bevölkerung bewaffnete und Schießübungen organisierte und auch Nazis vor Ort verhaftete sowie Suppenküchen für Flüchtlinge aus den östlichen Provinzen aufmachten. Die interne Kommunikation zeigt, dass führende Kommunisten nur wenig von der Antifa hielten, die von Ulbricht als „die antifaschistischen Sekten“ in einem Kommuniqué an Georgi Dimitroff Mitte 1945 geringschätzend bezeichnet wurden.

Das ursprüngliche Ziel der Ulbricht-Gruppe war es, möglichst viele dieser Antifaschisten in die KPD zu integrieren und sie fürchtete, dass Repression sie eher abstoßen als anziehen würde. Das ehemalige Mitglied der Ulbricht-Gruppe Wolfgang Leonhard behauptete später in seinen Memoiren, „Child of the Revolution„, dass Ulbricht den kommunistischen Funktionären erklärte: „Es ist ganz klar — es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in unserer Kontrolle haben.“

Diese Periode endete, als die Deutsche Demokratische Republik sich in den späten 40er Jahren im Stile der Sowjets mit einem Einparteienstaat etablierte, besonders nach relativ freien Wahlen im Jahr 1946, die nur ein enttäuschendes Ergebnis lieferten. Ehemalige KPO-Mitglieder und andere Oppositionelle, denen es nach dem Krieg erlaubt wurde beizutreten, wurden wegen vergangenen politischen Verbrechen untersucht, beseitigt und oft eingesperrt. Am Arbeitsplatz versuchte die SED die Produktion zu rationalisieren um damit die Instanzen der Kontrolle über die Fabrik sowie die demokratische Repräsentation zu neutralisieren, die sich herausgebildet hatte.

Die Gründung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB) im Jahr 1946 markierte den Anfang des SED-Versuchs, die Überwachung durch die Partei in den Fabriken zu etablieren. Diese „Gewerkschaften“ organisierten tatsächlich deutsche Arbeiter in Übereinstimmung mit den Interessen ihres praktischen Vorgesetzten, des ostdeutschen Staats, und wollte ihre Loyalität durch Vorhaben des „sozialistischen Wettbewerbs“, Stückarbeit und von der Gewerkschaft gesponserte Urlaubspakete erkaufen.

Allerdings konnten es sich die „freien“ Gewerkschaften nicht leisten, wettbewerbsfähige Wahlen über Nacht abzuschaffen. Antifa-Aktivisten wurden in den frühen Jahren oft in FDGB-Betriebsratsposten gewählt und übten so etwas länger einen weiteren Einfluss an ihrem Arbeitsplatz aus. Einige wurden in das mittlere Management integriert, während andere sich weigerten, ihre Prinzipien zu verraten und zurücktraten oder aus politischen Gründen entfernt wurden.

Die öffentliche Spaltung zwischen der Sowjetunion und Titos Jugoslawien im Jahr 1948 beschleunigte die Stalinisierung in der sowjetischen Besatzungszone, und diese begrenzten Räume der Selbstorganisation wurden bald komplett abgeschafft. Anschließend wurde die antifaschistische Tradition der DDR verdünnt, verzerrt und zu einem ahistorischen nationalen Usprung gemacht, in dem die Bewohner von Ostdeutschland offiziell als die „Sieger der Geschichte“ verkündet wurden, wo aber nur wenig Platz für die reale und komplizierte Geschichte dahinter bleibt, ganz zu schweigen von der ambivalenten Rolle des stalinisierten Kommunismus.

Es wagen zu träumen

Nach ihrem Zusammenbruch Ende 1945 und Anfang 1946 verschwanden die Antifas für fast vier Jahrzehnte von der deutschen politischen Bühne. Die moderne Antifa, mit der die meisten Leute den Begriff verbinden, haben keine praktische historische Verbindung zu der Bewegung, von der sie ihren Namen hat, sondern ist stattdessen ein Produkt der westdeutschen Squatter-Szene und der Autonomen Bewegung der 1980er Jahre — selbst ein einzigartiger Auswuchs der 1968er, doch viel weniger an der industriellen Arbeiterklasse orientiert als ihr italienisches Gegenstück. Die ersten Antifas fungierten als Plattformen, um sich gegen rechtsgerichtete Gruppen wie die Nationale Demokratische Partei (NPD) in einer autonomen Bewegung zu organisieren, die noch immer Zehntausende aktive Mitglieder besitzt und in der Lage ist, ganze Stadtblöcke in einigen westdeutschen Metropolen zu besetzen.

Als die Rechtsextremen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung damit anfingen, sich wieder aufzubauen, was sich in schockierenden Angriffen gegen Asylsuchende in einigen östlichen Provinzen in den frühen 1990er Jahren ausdrückte, wurde die Antifa zunehmend zu einer Bewegung für sich selbst: Ein nationales Netzwerk bestehend aus engagierten antifaschistischen Gruppen, die in der „Antifaschistische Aktion / Bundesweite Organisation“ (AA/BO) organisiert wurden.

In gewisser Weise waren diese Gruppen das Gegenstück zu ihren Vorfahren: Anstelle einer breiten Allianz bestehend aus Sozialisten und Progressiven aus separaten, ideologisch unterschiedlichen Strömungen, waren sie Single-Issue Gruppen die zwar ausdrücklich radikal waren aber vage und außerordentlich heterogen in ihren Besonderheiten. Anstelle eines Ausgangspunkts für junge Aktivisten in eine breitere sozialistische und politische Linke, ist die Antifa außerhalb von großen Städten oftmals der einzige politische Akteur in der Stadt und funktioniert als Gegenkulturraum mit ihrem eigenen Modestil, ihrer eigenen Musikszene und ihrem ganz besonderen Slang, im Gegensatz zu einer Komponente einer Massenbewegung, die in der breiteren Gesellschaft verwurzelt ist.

Nach der AA/BO-Trennung im Jahr 2001 arbeitete die Antifa weiterhin lokal und regional als dediziertes Netzwerk von Antifaschisten, die rechtsgerichteten Demonstrationen und Versammlungen gegenüberstehen, obwohl viele auch andere linke Probleme und Anlässe aufgreifen. Was aus den besetzten Häusern und der aufgebauten Infrastruktur geblieben ist, die zwischen den 70er und 90er Jahren aufgebaut wurden, dient weiterhin als wichtiger organisierender und sozialisierender Raum für die radikale Linke und die „Antifa“ als Bewegung, als Tropus und allgemeine politische Perspektive, die zweifellos noch lange bestehen bleiben wird — doch es scheint, als hätte diese Iteration des Antifaschismus sein politisches Repertoire ebenfalls erschöpft.

Die Bewegung ist seit den 1990er Jahren kontinuierlich geschrumpft und hat sich entlang der ideologischen Linien zersplittert und ist nicht in der Lage, ihre ursprünglichen autonomen Strategien auf die Verlagerung von Urbanisierungsmustern und den Aufstieg des Rechtspopulismus anzupassen. Ihre vielversprechendsten Produkte der letzten Zeit — die Massenmobilisierungen gegen Neo-Nazi-Aufmärsche in Städten wie Dresden, sowie die Bildung eines neuen, eigenständigen post-autonomen Strom in der Form der Interventionistischen Linken — markiert eine Abkehr von anstelle einer Wiederbelebung der klassischen Antifa-Strategie.

Der Antifaschismus ist in den Vordergrund von Debatten der amerikanischen Linken unter Trumps Präsidentschaft getreten, und viele der Taktiken und visuellen Stile der deutschen Antifa werden in Städten wie Berkley und anderswo auftauchen. Manche meinen, dass mit der Ankunft von europäischen neo-faschistischen Bewegungen auf amerikanischem Festland es auch an der Zeit wäre, europäische Antifa-Taktiken als Antwort darauf zu importieren.

Dennoch ist die Antifa von heute kein Produkt des politischen Sieges, aus dem wir unsere eigene Kraft schöpfen können, sondern der Niederlage — die Niederlage des Sozialismus vor dem Nationalsozialismus und des wiederauflebenden globalen Kapitalismus, und später die Erschöpfung der autonomen Bewegung im Gefolge der neoliberalen Wendung und der weitläufigen Gentrifizierung vieler deutscher Städte.

Obwohl die Antifa weiterhin als wichtiger Anziehungspol für die Radikalisierung der Jugend fungiert und dafür sorgt, dass die Rechtsgerichteten nur selten ohne Widerstand in vielen europäischen Städten marschieren können, ist ihre politische Form von einer exklusiven Natur, in ihrem eigenen ästhetischen und rhetorischen Stil und unzugänglich für die Massen der Uneingeweihten, die sich das erste Mal aktivistisch betätigen. Eine linke Subkultur mit ihren eigenen sozialen Räumen und kulturellem Leben ist nicht dasselbe wie eine soziale Massenbewegung, und wir können es uns nicht leisten, die beiden zu verwechseln.

Natürlich bietet uns die Antifa-Erfahrung von 1945 keine wirklich konkreten Lektionen, wie man in der Trump-Ära mit Aufständischen umgeht. Rückblickend auf die Geschichte der sozialistischen Linken geht es nicht um siegreiche Formeln, die im 21. Jahrhundert reproduziert werden sollen, sondern eher darum, wie frühere Generationen ihren eigenen historischen Moment verstanden haben und politische Organisationen als Antwort darauf aufgebaut haben, um unsere eigenen (hoffentlich erfolgreicheren) für heute zu entwickeln.

Die Antifas in Stuttgart, Braunschweig und sonst wo sahen sich unmöglichen Chancen gegenüber, aber versuchten noch immer, eine Reihe von politischen Forderungen und eine praktische organisatorische Vision für die sich radikalisierenden Arbeiter zu artikulieren, die zuhören wollen. Die Antifas weigerten sich, vor ihrer scheinbar hoffnungslosen Zwangslage zu kapitulieren und wagten es, von Großem zu träumen. Angesichts einer noch mehr zersplitterten und geschwächten Linken als 1945 müssen amerikanische Antifaschisten das ebenfalls tun.

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