Portugal, 14 Jahre nachdem alle Drogen entkriminalisiert wurden

von Zeeshan Aleem, 11. Feb. 2015

Im Jahr 2001 hat die portugiesische Regierung etwas getan, was für die Vereinigten Staaten von Amerika völlig undenkbar wäre. Nach vielen Jahren, in denen man einen erbitterten Kampf gegen die Drogen geführt hat, entschied man sich dazu, die Strategie komplett umzudrehen: Alle Drogen wurden entkriminalisiert.

Wenn jemand in Besitz von weniger als einem 10-tägigen Vorrat von irgendetwas, von Marihuana bis Heroin, gefunden wird, wird er oder sie zu einer 3-Personen-Kommission, die üblicherweise aus einem Anwalt, einem Arzt und einem Sozialarbeiter besteht, geschickt, um von Drogensucht abzuraten. Die Kommission empfiehlt die Behandlung oder eine kleine Geldstrafe; andernfalls wird die Person weggeschickt, ohne eine Strafe zu verhängen. Bei der großen Mehrheit der Fälle gibt es keine Strafe.

14 Jahre nach der Entkriminalisierung wurde Portugal noch immer nicht von Drogenabhängigen an die Wand gefahren. Tatsächlich geht es Portugal auf viele Arten besser als zuvor.

Der Hintergrund: Im Jahr 1974 kam die Diktatur, die Portugal vom Rest der Welt für fast ein halbes Jahrhundert abgeschnitten hat, zu einem Ende. Die Nelkenrevolution war ein unblutiger vom Militär durchgeführter Putsch, der einen turbulenten Übergang vom Autoritarismus zur Demokratie sowie einen gesellschaftsweiten Kampf ausgelöst hat, um eine neue portugiesische Nation zu definieren.

Die neu gewonnene Freiheit führte zu einer wilden Einstellung gegenüber Politik und Wirtschaft und, wie sich herausstellte, auch gegenüber harten Drogen.

In diesem Archivbild vom 25. April 1974 jubeln Menschen Soldaten in einem Panzer zu, der während des Militärputsches durch das Zentrum von Lissabon fährt.

In diesem Archivbild vom 25. April 1974 jubeln Menschen Soldaten in einem Panzer zu, der während des Militärputsches durch das Zentrum von Lissabon fährt.

Portugals Diktatur hatte es von der Drogenkultur isoliert, die sich früher im 20. Jahrhundert in der ganzen westlichen Welt ausgebreitet hatte, doch der Putsch veränderte alles. Nach der Revolution gab Portugal seine Kolonien auf, und so kehrten die Kolonisten und Soldaten mit einer Vielzahl von Drogen in ihr Land zurück. Die Grenzen öffneten sich und Reisen und Geldwechseln wurde viel einfacher. An der westlichsten Spitze des Kontinent gelegen war das Land ein natürliches Einfallstor, um auf dem gesamten Kontinent zu schmuggeln. Drogenkonsum wurde ein Teil der Befreiungskultur und der Gebrauch von harten Drogen wurde populär. Schließlich geriet es aus der Hand, und Drogenkonsum entwickelte sich zu einer Krise.

Zunächst reagierte die Regierung darauf, wie es in den Vereinigten Staaten nur allzu vertraut ist: Ein konservativer kultureller Rückschlag der Drogenkonsum verunglimpfte und eine harte, restriktive Politik, die vom Strafjustizsystem geführt wird. Im Lauf der 80er Jahre probierte Portugal diesen Ansatz, aber ohne Erfolg: Bis 1999 war 1% der Bevölkerung heroinabhängig und drogenbedingte AIDS-Todesfälle waren die höchsten in der Europäischen Union, laut dem New Yorker.

Doch im Jahr 2001 entschied sich das Land dazu, den Besitz und Konsum von Drogen zu entkriminalisieren, und die Ergebnisse waren bemerkenswert.

Was hat sich verbessert? In Bezug auf die Häufigkeit der Nutzung und die Gesundheit zeigt sich, dass sich Portugal keineswegs in eine Drogenkrise gestürzt hat.

Wie diese Grafik von der Transform Drug Policy Foundation zeigt, ist der Anteil der Bevölkerung, der angibt, Drogen schon einmal probiert zu haben, kurz nach der Entkriminalisierung angestiegen, aber dann wieder zurückgegangen:

port_chart1(Lifetime prevalence bedeutet den Anteil der Menschen, die angegeben haben, irgendwann in ihrem Leben schon einmal Drogen genommen zu haben, past-year prevalence zeigt an, wieviele Menschen Drogen im letzten Jahr genommen haben, und past-month prevalence meint diejenigen, die im letzten Monat Drogen genommen haben. Allgemein gesagt: Je kürzer der Zeitrahmen, umso zuverlässiger die Messung.)

Der Drogenkonsum ging unter der 15 – 24 jährigen Bevölkerung insgesamt zurück, das sind laut Transform die am stärksten gefährdeten durch beginnenden Drogenkonsum.

Es gab auch einen Rückgang des Anteils der Bevölkerung, der jemals eine Droge probiert hat und dann damit weitermachen:

port_chart2Drogeninduzierte Todesfälle haben sich stark verringert, wie diese Transform-Grafik zeigt:

port_chart3Die HIV-Infektionsraten unter spritzenden Drogenkonsumenten wurde gleichmäßig reduziert und wurde zu einem überschaubaren Problem im Kontext mit anderen Ländern mit hohen Raten, wie in diesem Diagramm aus einem Bericht des European Monitoring Center for Drugs and Drug Addiction Policy aus dem Jahr 2014 gesehen werden kann:

port_chart4Und eine weithin zitierte Studie, die im Jahr 2010 im British Journal of Criminology veröffentlicht wurde, fand heraus, dass Portugal nach der Entkriminalisierung eine Abnahme der drogenbedingten Strafen aufzuweisen hatte sowie einen Anstieg der Besuche in Kliniken, die sich mit Suchtkrankheiten beschäftigen.

Keine Heilung, aber sicherlich keine Katastrophe: Viele Befürworter der Entkriminalisierung oder der Legalisierung von illegalen Drogen auf der ganzen Welt freuen sich für Portugals Erfolg. Sie verweisen auf die Wirksamkeit als eindeutiges Zeichen dafür, dass die Entkriminalisierung funktioniert.

Aber einige Sozialwissenschaftler warnten davor, all diese Zahlen der Entkriminalisierung selbst zuzuschreiben, da noch andere Faktoren beim nationalen Rückgang von Überdosierungen, Krankheiten sowie der generellen Nutzung eine Rolle spielen.

Zur Jahrtausendwende verlagerte Portugal die Drogenkontrolle vom Justizministerium zum Gesundheitsministerium und leitete ein robustes Modell für das öffentliche Gesundheitssystem zur Behandlung von harten Drogen ein. Ebenfalls erweiterte Portugal das Sozialsystem in Form eines garantierten Mindesteinkommens. Materialveränderungen und Gesundheitsressourcen für gefährdete Bevölkerungsgruppen im vergangenen Jahrzehnt sind wichtige Faktoren bei der Bewertung von Portugals Drogensituation.

Alex Stevens, ein Professor für Strafrecht an der Universität von Kent und Co-Autor des oben genannten kriminologischen Artikels ist der Meinung, dass die Weltgemeinschaft daran gemessen werden soll, was sie als die wichtigsten Punkte am Beispiel Portugal anführt.

„Die wichtigste Lehre, die man mitnehmen kann, ist dass die Entkriminalisierung von Drogen nicht unbedingt zu einer Katastrophe führt, sie aber Ressourcen freimacht für effektivere Reaktionen auf Drogenprobleme“, sagte Stevens zu Mic.

Der Weg in die Zukunft: Da Portugal vor einer prekären finanziellen Situation steht, besteht das Risiko, dass das Land Teile seines Gesundheitssystems abbauen muss, die so wichtig dafür sind, eine süchtige Gemeinschaft so gesund wie möglich zu halten und sie eher in die Nüchternheit zurückbringen.

Das wäre eine Schande für ein Land, das so effektiv gezeigt hat, dass die Behandlung von Drogenabhängigkeit als moralisches Problem — im Gegensatz zu einem Gesundheitsproblem — eine Sackgasse ist.

In einem New Yorker Artikel aus dem Jahr 2011, in dem es darum geht, wie es Portugal seit der Entkriminalisierung ergangen ist, spricht der Autor mit einem Arzt, der über die Lieferwagen diskutiert, die in den Städten mit Alternativen zu harten Drogen patrouillieren, von denen sich die Süchtigen entwöhnen wollen. Der Arzt reflektierte über die Leute, die sich vor dem Lieferwagen anstellen, noch immer als Sklave der Sucht, aber er verteidigte die Tat:

„Vielleicht handelt es sich um ein nationales Versagen, aber ich ziehe moderate Hoffnung und eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit dem Traum von Perfektion und dem sicheren Scheitern vor.“

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